BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG
22. Wahlperiode
07.09.2022, Drucksache 22/9309
Antrag
der Abgeordneten Dr. Isabella Vértes-Schütter, Cem Berk, Gabi Dobusch, Regina-Elisabeth Jäck, Kirsten Martens, Dr. Christel Oldenburg,
Arne Platzbecker, Hansjörg Schmidt, Dagmar Wiedemann (SPD) und Fraktion
und
der Abgeordneten Peter Zamory, Maryam Blumenthal, Miriam Block, René Gögge, Dr. Adrian Hector, Sina Aylin Koriath, Farid Müller, Ivy May Müller, Lena Zagst (GRÜNE) und Fraktion
Betr.: Übernahme des „Geschichtsortes Stadthaus“ in die Trägerschaft der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen (SHGL) – Unterstützung für Betriebs- und Ein- richtungskosten sicherstellen
Der Geschichtsort Stadthaus erinnert daran, dass der heutige Gebäudekomplex der Stadthöfe an der Stadthausbrücke und dem Neuen Wall von 1933 bis 1943 das Polizeipräsidium, die Leitstellen von Geheimer Staatspolizei und Kriminalpolizei und weitere Dienststellen beherbergte. Von hier organisierte die Polizei die Verfolgung von politischen Gegner:innen, von Jüd:innen und von Sintize und Sinti, Romnja und Roma sowie von vielen weiteren Frauen und Männern in Norddeutschland. Im Stadthaus selbst wurden Frauen und Männer nach ihrer Verhaftung in Kellerräumen unter unwürdigen Bedingungen festgehalten und mussten bei Verhören brutale Misshandlungen erleiden. Das Stadthaus war eine Zentrale des Terrors und der Gewalt, deren Bedeutung weit über den Hamburger Raum hinausging. Auch der Kriegseinsatz norddeutscher Polizisten in Polen und in der Sowjetunion und deren aktive Mitwirkung am Völkermord wurden von der Hamburger Polizeileitung im Stadthaus organisiert und mit verantwortet.
Das Areal an der Stadthausbrücke/Neuer Wall wurde 2009 von der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) an den Projektentwickler Quantum Immobilien AG / Stadthöfe GmbH & Co KG veräußert. Die Stadthöfe GmbH & Co ist seit 2016 (zunächst mehrheitlich, seit 2018 vollständig) im Besitz von drei ärztlichen Versorgungswerken. Seit 2018 erinnert ein vom Projektentwickler namens der Eigentümerin eingerichteter und von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme inhaltlich mitentwickelter „Geschichtsort Stadthaus“ mit Schwerpunkt auf die Jahre 1933 bis 1943 an die 200-jährige Geschichte des Stadthauses. Der Geschichtsort war bis Februar 2022 in die Buchhandlung „Lesesaal“ integriert, deren Inhaberin als Betreiberin fungierte. Die von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme erarbeiteten Dauerausstellungen im Geschichtsort und auf den öffentlich zugänglichen Brückenarkaden sowie im „Seufzergang“ wurden Anfang 2020 fertiggestellt. Die konkrete Ausgestaltung des Geschichtsortes war seit 2018 wiederholt Anlass für Diskussionen über einen angemessenen Umgang mit Hamburgs NS-Vergangenheit an diesem zentralen Ort.
Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme bzw. die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen (SHGL) begleitet seit 2019 den Geschichtsort Stadthaus inhaltlich mit pädagogischen und wissenschaftlichen Angeboten, darunter öffentliche Rundgänge und Vorträge. Die auf Beschluss der Hamburgischen Bürgerschaft eingerichtete, zunächst auf zwei Jahre befristete wissenschaftliche Begleitung des Geschichtsortes Stadthaus (Drs. 21/15394) ist seit September 2021 mit einer Vollzeitstelle (E11) dauerhaft personell unterlegt, die sich zwei pädagogisch-wissenschaftliche Mitarbeiterinnen teilen (Drs. 22/6765).
In der Drs. 22/7159 informierte der Senat zudem über die Aufnahme von Verhandlungen mit der Eigentümerin mit dem Ziel, künftig im Rahmen einer Trägerschaft der SHGL die gesamte nun verfügbare Fläche in die erinnerungskulturelle Arbeit zu integrieren und damit den Geschichtsort substanziell weiterzuentwickeln.
Die Behörde für Kultur und Medien hat unter Mitwirkung der SHGL nunmehr mit der Eigentümerin die Bedingungen für eine langfristige Übernahme der Trägerschaft der SHGL für den Geschichtsort Stadthaus ausgehandelt. Die Vertragsgestaltung garantiert eine mietzinsfreie Übernahme des Geschichtsortes Stadthaus für zunächst 20 Jahre mit unbefristeter Verlängerungsoption für jeweils weitere 10 Jahre auf der Fläche der bisherigen Ausstellung zuzüglich der Fläche der vormaligen Buchhandlung und des darin integrierten Cafés. Die erweiterte Fläche soll nach der Konzeption der SHGL zukünftig überwiegend zur Erweiterung der Ausstellung um einen multifunktionalen Lernort dienen. Ferner sollen mit einer kleinen Sonderausstellungsfläche Möglichkeiten für eine stärkere Sichtbarkeit der Geschichte des Widerstands geschaffen werden. Die Einrichtungs- und Betriebskosten einschließlich der Nebenkosten des Geschichtsortes sind seitens der FHH zu tragen.
Der Stiftungsrat der SHGL, der nach § 2 Abs. 3 des Hamburgischen Gedenkstättengesetzes (HmbGVBl. Nr. 41/2019) einer Übernahme weiterer Einrichtungen in die Trägerschaft der Stiftung zustimmen muss, hat dieser im Zuge eines Umlaufsverfahrens Anfang April 2022 vorbehaltlich einer Übernahme der Betriebskosten seitens der FHH zugestimmt.
Im Falle einer alleinigen Bewirtschaftung des Geschichtsortes Stadthaus durch die SHGL sind jährliche Betriebskosten in Höhe von 139.000 Euro anzusetzen. Diese setzen sich wie folgt zusammen:
– Instandhaltungs- und Wartungskosten: 36.000 Euro
– verbrauchsbezogene Miet-Nebenkosten: 12.000 Euro
– Pauschale für verbrauchsunabhängige Nebenkosten gemäß § 1 (1) des mit der Eigentümerin abgestimmten Vertragsentwurfs: 20.000 Euro
– Raumpflegekosten: 18.000 Euro
– Besucherservice/Aufsicht durch einen externen Dienstleister: 53.000 Euro.
In den bisherigen Planungen zum Haushalt 2023/24 wurden die laufenden Betriebskosten durch den Senat bereits berücksichtigt.
Zusätzlich zu den jährlichen Betriebskosten sind einmalige Einrichtungskosten in Höhe von 100.000 Euro zu berücksichtigen, um die Räumlichkeiten des Geschichtsortes dem erweiterten Anforderungsprofil entsprechend auszustatten.
Die rot-grüne Regierungskoalition setzt sich mit dem vorliegenden Antrag dafür ein, dass dem Geschichtsort Stadthaus aus der Allgemeinen Zentralen Reserve bzw. Investitionsreserve Einrichtungskosten in Höhe von 100.000 Euro für die Ausgestaltung der nun größer werdenden Fläche, die zudem Möglichkeiten für einen multifunktionalen Lernort und eine Sonderausstellungsfläche bietet, zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus sollen für den Betrieb der Stätte in 2022 noch 69.500 Euro bereitgestellt werden.
Die Bürgerschaft möge beschließen:
Der Senat wird ersucht,
1. im Haushaltsjahr 2022 aus der „Allgemeinen Zentralen Reserve“ bzw. Investitionsreserve für die erweiterte Einrichtung des Geschichtsortes Stadthaus die jeweilige Höhe des konsumtiven beziehungsweise investiven Anteils der Maßnahme zu ermitteln,
2. im Haushaltsjahr 2022 – abhängig vom Ergebnis dieser Ermittlung – Ermächtigungen, Kosten zu verursachen beziehungsweise Auszahlungen zu leisten in Höhe von insgesamt bis zu 169.500 Euro
a. für konsumtive Maßnahmen im Einzelplan 3.3, Produktgruppe 251.06 Gedenkstätten und Erinnerungskultur, Kontenbereich „Kosten für Transferleistungen“ aus der Allgemeinen Zentralen Reserve (Einzelplan 9.2 Produktgruppe 283.02 „Zentrale Ansätze II“, Kontenbereich Globale Mehrkosten) und
b. für investive Maßnahmen im Einzelplan 3.3 (Aufgabenbereich 251 Kultur und Staatsarchiv) aus der „Zentralen Investitionsreserve“ (Einzelplan 9.2, Aufgabenbereich 283, „Zentrale Finanzen“) bereitzustellen,
3. für die im Haushaltsjahr 2022 dazugehörigen Abschreibungen – in Abhängigkeit vom jeweiligen Aktivierungszeitpunkt der unter Ziffer 2. genannten investiven Maßnahmen – die benötigten Ermächtigungen aus dem Einzelplan 9.2, Produktgruppe 283.02 Zentrale Ansätze II, Allgemeine Zentrale Reserve, in den Kontenbereich „Kosten aus Abschreibungen“ im Einzelplan 3.3., Produktgruppe 251.06 Gedenkstätten und Erinnerungskultur zu übertragen,
4. der Bürgerschaft über die Umsetzung dieser Maßnahme bis Ende 2023 zu berichten.