Zusammenhalt fördern – Prävention von religiösem Extremismus und Antisemitismus verstärken: Radikalisierung im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt rechtzeitig erkennen und entschlossen entgegenarbeiten

BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG

22. Wahlperiode

06.12.2023, Drucksache 22/13767

Antrag

der Abgeordneten Ksenija Bekeris, Iftikhar Malik, Kazim Abaci,
Danial Ilkhanipour, Regina-Elisabeth Jäck, Annkathrin Kammeyer, Jan Koltze, Kirsten Martens, Ali Simsek (SPD) und Fraktion

und

der Abgeordneten Michael Gwosdz, Sina Imhof, Sina Aylin Koriath, Filiz Demirel, Mareike Engels, Linus Görg, Dr. Adrian Hector, Britta Herrmann,
Christa Möller-Metzger, Dr. Gudrun Schittek, Yusuf Uzundag,
Peter Zamory (GRÜNE) und Fraktion

Betr.: Zusammenhalt fördern – Prävention von religiösem Extremismus und Antisemitismus verstärken: Radikalisierung im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt rechtzeitig erkennen und entschlossen entgegen- arbeiten

Der 7. Oktober 2023 wird als gewaltvoller Einschnitt in die Geschichte eingehen: Der islamistisch-terroristische Angriff und das brutale Massaker der Hamas in Israel war Beginn und Ursache eines Verteidigungsschlags Israels gegen die terroristische Hamas.

Weltweit führt die damit einhergehende Militäroperation zu einer Welle der Entrüstung und wechselseitiger Solidarisierung.

Antisemitische Gewalt hat auch hierzulande seit dem 7. Oktober zugenommen und Jüd:innen in ihrem Alltag schwer erschüttert. Vor diesem Hintergrund muss in aller Deutlichkeit klar sein, dass Antisemitismus jedweder Provenienz, Hetze und Aufrufe zu Gewalt gegen Jüd:innen in der Gesellschaft keinen Platz haben dürfen.

Das menschliche Leid und die humanitäre Notlage in Israel und Gaza lassen niemanden unberührt. Die Bürgerschaft hat am 8.11.2023 mit einem Beschluss ihre Haltung zum aktuellen Konflikt und das breit getragene Bekenntnis zur Solidarität mit Israel und den Jüd:innen deutlich zum Ausdruck gebracht und dabei auch die humanitäre Hilfe für Gaza und die Perspektive einer Zwei-Staatenlösung angesprochen (vgl. Drucksache 22/13323). Wir stehen zu der historischen Verantwortung, die aus der Shoa und den Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands resultiert. Der Kampf gegen Antisemitismus und damit verbunden auch der Schutz von Minderheiten und der Religionsfreiheit sind Bestandteil des Versprechens „Nie Wieder“ und der im Grundgesetz verbrieften Grundrechte. Versuche, die Herausforderung durch den Antisemitismus kleinzureden oder sie ausschließlich als eine Einstellung bei Zugewanderten zu verorten, schlagen fehl. Antisemitismus hat eine lange Tradition und ist leider in allen Teilen der Gesellschaft vorhanden.

Zugleich nehmen wir wahr, dass Muslimfeindlichkeit in Folge dieses aktuellen Konfliktes zunimmt. Gerade deshalb ist es wichtig zu erkennen, dass es eine Gleichzeitigkeit gibt: Wir trauern um die unschuldigen Opfer in Israel und im Gaza-Streifen gleichzeitig. Beide Positionen sind gleichzeitig möglich, Mitgefühl kann nicht nur selektiv sein und ein Generalverdacht gegenüber allen Muslim:innen ist ein Teil des Problems und nicht der Lösung.

Der Nahostkonflikt emotionalisiert und polarisiert. Auch hierzulande scheint die Auseinandersetzung mit dem Konflikt eine Gesprächsatmosphäre zu schaffen, die die Komplexität der Situation übertönt. Es wird ein pauschalisierendes Entweder-Oder-Bild und ein Generalverdacht gegenüber unterschiedlichen Gruppen konstruiert. Diese Situation überfordert viele Menschen, insbesondere Pädagog:innen und Anleiter:innen in der Jugend- und Bildungsarbeit.

Die an vielen Orten zu beobachtende zunehmende Polarisierung bietet dabei islamistischen Extremist:innen und Fanatiker:innen gute Ausgangsbedingungen, neue Anhänger:innen zu rekrutieren und für Gewalt bejahende Positionen und Handlungen zu gewinnen. Dabei spielen Fake-News, gezielte Fehlinformation und das Verschleiern oder Verharmlosen von Ursache und Wirkung – vor allem durch Social-Media-Kanäle – eine gewichtige Rolle.

Vermehrt junge Menschen werden auf Plattformen wie TikTok, Instagram und Weiteren mit schockierenden, zum Teil verstörenden Inhalten, Bildern und Videos zum Nahostkonflikt konfrontiert. Nur selten lassen sich die geteilten Inhalte auf ihre Echtheit überprüfen, vielmehr werden Inhalte auch zu propagandistischen Zwecken über diverse Kanäle multipliziert. Gerade Jugendliche präsentieren auch nicht selten ihre Sichtweisen, ohne genügend Fakten zu kennen und verbreiten antisemitische Inhalte weiter. Je länger Nutzer:innen die Videobeiträge anschauen, umso mehr werden vergleichbare Inhalte durch den Algorithmus in der persönlichen Timeline angezeigt. So erreichen sog. Content-Creator:innen und Influencer:innen auch Jugendliche über Smartphones in deren Kinderzimmern. Diese Atmosphäre ist der Nährboden für Radikalisierungspotentiale.

Die Antwort auf diese Situation kann nur eine vermittelnde Perspektive sein, die in der Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt dem Existenzrecht Israels gerecht wird und Mitgefühl mit den Israelis genauso zulässt wie das Mitgefühl mit Palästinenser:innen.

Das Ziel ist es, eine Atmosphäre der Gleichzeitigkeit zu schaffen, in der die Solidarität mit Israel nicht im Widerspruch damit stehen muss, gleichzeitig auch Kritik an der Regierung Israels oder den Lebensbedingungen der Menschen in den besetzen palästinensischen Gebieten äußern zu können. Ebenso muss es Raum geben, auch die Verbrechen der islamistisch-terroristischen Hamas-Organisation an Israelis und nicht zuletzt auch an den Menschen in Gaza selbst kritisieren zu können.

Es braucht eine Perspektive, die Antisemitismus und antisemitische Narrative klar benennt und gleichzeitig sensibel auch bei anderen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung ist.

Um diesen Zielen näher zu kommen wurden unter anderem bereits folgende Maßnahmen ergriffen:

• Das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) hat ein ausführliches Beratungs- und Fortbildungsangebot zum Nahost-Konflikt angestoßen. Seit dem 7. Oktober 2023 waren bis Mitte November siebzehn Beratungsanfragen zum pädagogischen Umgang in Schule mit der Lage in Nahost eingegangen. Darüber hinaus wurden circa zweihundert Lehrkräfte in verschiedenen Fortbildungen hierzu informiert und beraten. Die Webseite des LI wurde um Hinweise auf Unterrichtsmaterial ergänzt.

• Mit der Entwicklung einer Landesstrategie zur Bekämpfung und Prävention von Antisemitismus (vgl. Drucksache 21/19676) systematisiert der Senat zudem schon seit längerem gezielt Maßnahmen gegen Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen – sei dies an den Rändern des politisch rechten oder des politisch linken Spektrums, in bestimmten muslimischen und/oder zugewanderten Communities als auch in der Mitte der Gesellschaft.

• Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat frühzeitig erkannt, dass Radikalisierungsprozesse unterschiedlich sind und bereits 2014 vielfältige milieu- und sozialraumspezifische Präventionsangebote konzipiert und zusammengeführt. Dem Senatskonzept „Effektive Maßnahmen gegen gewaltbereiten Salafismus und religiösen Extremismus ergreifen“ (Vgl. Drucksache 21/5039, 22/2378 und zuletzt 22/10434) lag stets die Erkenntnis zu Grunde, dass häufig eigene Diskriminierungserfahrungen, Emotionalisierung von politischen Konflikten und die Selbstwahrnehmung als Opfer der Ausgang von Radikalisierungsentwicklungen sein können und daher in der Bewältigungsstrategie adressiert werden müssen.

Daran gilt es vertieft anzuknüpfen.

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. zu prüfen, inwieweit digitale Streetwork-Angebote zum Einsatz kommen können, um insbesondere religiös begründete Radikalisierungstendenzen von jungen Menschen frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.

2. zu berichten, welche Bemühungen bereits unternommen wurden, um die Hamburger Landesstrategien gegen religiösen Extremismus wie auch gegen Antisemitismus im Hinblick auf die jüngste Eskalation des Nahost-Konflikts anzupassen.

3. zu berichten, welche Workshops, Qualifizierungsangebote und Materialien für Fachkräfte und Träger der Sozialen Arbeit, insbesondere der Offenen Kinder- und Jugendarbeit neu geschaffen wurden, um diese für die Arbeit mit jungen Menschen in den Bereichen Radikalisierungsprozesse und Kontextualisierung des Nahostkonflikts – auch im virtuellen Raum – zu sensibilisieren.

4. zu berichten, wie die Situation sich an Hamburgs Schulen im Umgang mit dem Nahostkonflikt darstellt und welche langfristigen Maßnahmen etc. für Lehrkräfte und Personal an Hamburger Schulen im Umgang mit Antisemitismus geplant sind.

5. Projekte und Träger der politischen Bildung dabei zu unterstützen, ihre Angebote gegen Antisemitismus sowie jede andere Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu erweitern und sichtbar in die Breite zu tragen.

6. die verschiedenen schon bestehenden Multiplikator:innen, Religionsgemeinschaften, Initiativen, Projekte und Netzwerke für Empowerment und gegen Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in ihrer Wirksamkeit, Sichtbarkeit und Bekanntheit zu unterstützen.

7. der Bürgerschaft im Rahmen des Berichts des Senats zur Umsetzung des Senatskonzeptes „Effektive Maßnahmen gegen gewaltbereiten Salafismus und religiösen Extremismus ergreifen“ (Drs. 20/13460) zum 30.09.2024 hierüber zu berichten.

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