BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG
14.02.2024, Drucksache 22/14449
Antrag
der Abgeordneten Peter Zamory, Mareike Engels, Miriam Block, Maryam Blumenthal, Filiz Demirel, Linus Görg, Michael Gwosdz,
Dr. Adrian Hector, Britta Herrmann, Christa Möller-Metzger, Zohra Mojadeddi, Farid Müller, Dr. Gudrun Schittek, Yusuf Uzundag (GRÜNE) und Fraktion
und
der Abgeordneten Annkathrin Kammeyer, Claudia Loss, Kazim Abaci,
Danial Ilkhanipour, Regina-Elisabeth Jäck, Sabine Jansen, Jan Koltze, Iftikhar Malik, Kirsten Martens, Jörg Mehldau, Britta Schlage, Ali Simsek, Urs Tabbert, Dr. Isabella Vértes-Schütter, Güngör Yilmaz (SPD) und Fraktion
Betr.: Schwerpunktaktion am Drob Inn und rund um den Hauptbahnhof: Zugänge zum Regelsystem finden, Hilfen organisieren und Drogen- und Suchthilfesystem stärken
Nach Einschätzung des Drob Inn ist ein großer Teil ihrer Klientel obdachlos und hält sich schon deshalb viel in der Nähe des Drob Inn und des Hauptbahnhofs auf. Für viele dieser Menschen ist der Zugang zum Hilfesystem aus unterschiedlichen Gründen schwierig: Die Probleme beginnen bereits beim Nachweis der Identität und Wohnadresse. Auch die Beantragung von Sozialleistungen und weiterführenden Leistungen gelingt in der Regel nur mit Hilfe, da durch Sprachbarrieren, Formulare und Verfahrensabläufe leicht Überforderungen entstehen. Zudem haben Obdachlose und drogenkonsumierende Menschen oft Schwierigkeiten mit Behörden zu kommunizieren, weil sie Benachrichtigungen und Aufforderungen nicht erreichen oder ihnen Unterlagen verloren gehen. Nicht selten haben sie auch ein Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen entwickelt, weil sie hier oder im Heimatland die Erfahrung von Diskriminierung und Stigmatisierung gemacht haben.
Trotz zum Teil fehlendem empirischen Wissens ist zu vermuten, dass gerade unter den Obdachlosen und Drogenkonsument*innen rund um den Hauptbahnhof sehr viele Personen sind, die potentiell Ansprüche auf Hilfeleistungen haben und Anschluss an das Regelsystem finden könnten. Wenn dies durch gezielte Unterstützung der Personen und eine bessere Abstimmung der sozialen Träger mit den verschiedenen staatlichen Institutionen in mehr Fällen gelänge, würde das im Einzelfall helfen und zu einer Entlastung der angespannten Situation rund um das Drob Inn und den Hautbahnhof insgesamt beitragen.
Ein wichtiger Teil der Straßensozialarbeit besteht deshalb darin, ihre Klientel bei Behördengängen zu begleiten, um Ansprüche zu klären und Verfahren zu begleiten. Aus Sicht der Straßensozialarbeit wird jedoch immer wieder darauf hingewiesen, wie zeitaufwändig diese Begleitungen zu verschiedenen Ämtern sind und dass diese mit Blick auf die Anzahl und Komplexität der Fälle eine Überforderung darstellen.
Auch deshalb gehören privilegierte Zugänge zu begleiteten Behördenvorsprachen und direkte Kontaktmöglichkeiten zu den wichtigsten Forderungen aus der Praxis der Straßensozialarbeit.
Die geplante Neukonzipierung der Straßensozialarbeit wird diese Probleme aufgreifen und beabsichtigt eine stärkere Kooperation zwischen den unterschiedlichen sozialen Akteuren und den verschiedenen staatlichen Institutionen. Damit diese gelingt, ist vorlaufend zur Neuaufstellung der Straßensozialarbeit am Hauptbahnhof eine Soziale Koordinierungsstelle in Vorbereitung, die die Schnittstellen zwischen den verschiedenen sozialen Akteuren und staatlichen Institutionen sichern und ein akteurs- und institutionenübergreifendes Fallmanagement implementieren soll. Der Blick geht damit weit über die Straßensozialarbeit hinaus und wird auch weitere staatliche oder staatlich finanzierte Hilfeangebote wie z. B. medizinische Hilfen, Schuldnerberatung oder gesetzliche Betreuung in die Koordination mit einbeziehen. Sogenannte „Fast Lanes“ für bestimmte behördliche Stellen (z. B. Fachstellen, Jobcenter, Gesundheitsamt, Eingliederungsamt) sollen Wartezeiten verkürzen. Zudem soll dort weitere Expertise abgerufen werden können.
Für den Hotspot rund um das Drob Inn mit seiner hohen Konzentration von Menschen mit komplizierten Hilfebedarfen und oft geringer Frustrationstoleranz wäre es sinnvoll, zur Bewältigung der aktuellen Elendssituation in einer zeitlich begrenzten Schwerpunktaktion die Soziale Koordinierungsstelle vor Ort um ein behördenübergreifendes Team aus Verwaltungsfachleuten (z. B. Fachstelle für Wohnungsnotfälle, Jobcenter, Gesundheitsamt, Eingliederungsamt) zu ergänzen.
Grundgedanke ist, dass die verschiedenen Dienststellen, mit denen die dortige Klientel immer wieder zu tun haben, gezielt und koordiniert den Hilfesuchenden gemeinsam gegenübertreten und nicht mehr in verschiedene Zuständigkeiten zerfallen. So könnten Schnittstellen adhoc abgearbeitet und Verfahren beschleunigt und verlässlicher durchgeführt werden. Um diese Ziele zu erreichen, sollten auch die ausländerrechtlichen Dienststellen in das Projekt einbezogen werden, um die Schwerpunkt-Aktion zu unterstützen. Ebenso ist zu prüfen, ob spezielle Kooperationsbeziehungen mit weiteren Kostenträgern (z. B. Krankenkassen) etabliert werden können. In komplexen Fällen sollen im Team – und wenn möglich unter Beteiligung der Betroffenen – abgestimmte Strategien für passende und wirksame Hilfen entwickelt und umgesetzt werden.
Die Arbeit in diesem Team erfordert motivierte Verwaltungsfachleute, die Erfahrung in der Materie und mit der Klientel haben und diese Fähigkeiten freiwillig für diese Schwerpunktaktion einbringen wollen und schon an der Vorbereitung der Schwerpunktaktion mitwirken sollten.
Die fachliche und organisatorische Konzeption und Vorbereitung dieser zeitlich begrenzten Aktion sollte gemeinsam durch die Sozialbehörde und das Bezirksamt Hamburg-Mitte in Zusammenarbeit mit den involvierten Dienststellen durchgeführt werden. Die strukturierte Auswertung der Erfahrungen mit diesem Ansatz sollte von vornherein mitgedacht werden.
Es sind zudem auch Maßnahmen notwendig, um die Situation der drogen- und suchterkrankten Menschen, die sich rund um den Hauptbahnhof aufhalten, zu verbessern.
Laut Angaben der Drogen- und Suchthilfeeinrichtung Drob Inn in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs besteht das Konsum-Muster der drogen- und suchterkrankten Menschen in etwa zu gleichen Teilen aus Heroin, Crack und der Kombination aus beiden Drogen. Heroin sei bei jeglichem Konsum annähernd zur Hälfte beteiligt. Der Konsum von Crack in der Stadt ist kein neues Phänomen und hoch problematisch. Viele drogen- und suchterkrankte Menschen leiden unter einer polyvalenten Abhängigkeit. Die Lebenslage der Betroffenen hat sich dadurch verschlechtert und es kommt zu einer sichtbaren Verelendung der Betroffenen, die wahrnehmbare körperliche und psychische Erkrankungen mit sich bringt.
Vor allem Menschen, die psychiatrische Unterstützung benötigen und unter psychiatrischen Störungsbildern wie beispielsweise einer posttraumatischen Belastungsstörung oder unter einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leiden, sind besonders hilfsbedürftig. Neben den medizinischen Sprechstunden des Drob Inns wäre die Ergänzung durch eine psychiatrische Versorgung am wirkungsvollsten, um einen Zugang zu den Betroffenen zu ermöglichen und das Ansetzen von weiteren Hilfeleistungen möglich zu machen.
Der Anteil der Obdachlosigkeit unter den drogen- und suchterkrankten Menschen hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht. Ein großer Teil der Menschen verbringt Tag und Nacht auf der Straße. Die Obdachlosigkeit unter den betroffenen Menschen stellt die größte Herausforderung für eine erfolgreiche Umsetzung der Versorgungs- und Hilfeleistungen dar.
Das Projekt Nox, angegliedert am Drob Inn, ist eine teilstationäre Einrichtung, die drogen- und suchtabhängigen Menschen im Akutfall eine Unterbringungsmöglichkeit anbietet. Damit das Projekt Nox mehr betroffenen Menschen Unterstützung anbieten kann, ist es notwendig, dass diese Hilfeleistung ergänzt wird.
Dazu gehört auch eine möglichst innenstadtnahe Unterbringung, die obdachlosen drogen- und suchtkranken Betroffenen jenseits der Straße und – zumindest befristet – ohne weitere Vorbedingung eine Unterkunft anbietet, die zur Stabilisierung der Lebenssituation beiträgt und eine weitere Verelendung verhindert.
Nach Angaben des Drob Inns ist der intravenöse Konsum von Suchtmitteln in den letzten Jahren gestiegen. Um mehr konsumierenden Menschen den Zugang zu den Drogenkonsumräumen zu ermöglichen, sollten die Räumlichkeiten mit barrierefreien Zugängen ausgestattet sein. Nicht nur aufgrund von Barrieren, auch aufgrund der Umstände während der Corona-Pandemie, haben sich viele drogen- und suchtabhängige Menschen an einen Konsum außerhalb der Suchthilfeeinrichtungen gewöhnt. Um diese Menschen wieder in die Räumlichkeiten der Suchthilfeeinrichtungen zu bekommen, müssen die Einrichtungen durch beispielsweise schadensminimierende Maßnahmen (Harm Reduction) attraktiver gestaltet werden.
Die Bürgerschaft möge beschließen:
Der Senat wird ersucht,
1. über die vorgesehene Einrichtung einer Sozialen Koordinierungsstelle rund um den Hauptbahnhof und deren ersten Erfahrungen zu berichten;
2. in 2024 zudem eine mehrmonatige Schwerpunktaktion „Zugänge zum Regelsystem“ durchzuführen und über die Erfahrungen zu berichten;
3. die Barrierefreiheit der Räumlichkeiten des Drob Inn zu verbessern, sodass neben der verstetigten Substitutionsambulanz auch Beratung in entsprechenden Räumlichkeiten stattfinden kann;
4. eine regelmäßige psychiatrische Sprechstunde – zunächst mindestens zweimal wöchentlich – einzurichten, um die psychiatrische Versorgung und Anbindung der obdachlosen und suchtkranken Menschen rund um den Hauptbahnhof und das Drob Inn zu verbessern;
5. weitere – möglichst barrierefreie – Notschlafstellen, Ruhemöglichkeiten und Unterbringung auch für die Klientel der suchtkranken Menschen innenstadtnah zu schaffen;
6. weitere Handlungsmaßnahmen wie Handlungsleitlinien zum Umgang mit Crack-Konsum, insbesondere zur Ausgabe von kostenlosen Konsumutensilien, zur muttersprachlichen Prävention und zu Schadensminimierung zu prüfen;
7. der Bürgerschaft zum 30.11.2024 zu berichten.