Impulse aus Hamburg für den Nationalen Aktionsplan zur Überwindung von Obdachlosigkeit bis 2030

BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG

22. Wahlperiode

04.01.23, Drucksache 22/10533

Antrag

der Abgeordneten Ksenija Bekeris, Iftikhar Malik, Martina Koeppen,
Kazim Abaci, Matthias Czech, Gabi Dobusch, Danial Ilkhanipour, Sabine Jansen,
Regina-Elisabeth Jäck, Annkathrin Kammeyer, Dirk Kienscherf, Jan Koltze,
Kirsten Martens, Dr. Christel Oldenburg, Lars Pochnicht, Ali Simsek,
Michael Weinreich, Dagmar Wiedemann (SPD) und Fraktion

und

der Abgeordneten Mareike Engels, Maryam Blumenthal, Filiz Demirel, Olaf Duge,
Linus Görg, Michael Gwosdz, Dr. Adrian Hector, Britta Herrmann, Sina Imhof,
Sonja Lattwesen, Zohra Mojadeddi, Christa Möller-Metzger,
Dennis Paustian-Döscher, Dr. Gudrun Schittek, Yusuf Uzundag,
Peter Zamory (GRÜNE) und Fraktion

Die Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist eine ernst zu nehmende Herausforderung unserer Zeit. Viel zu häufig sehen Betroffene multiplen Problemlagen entgegen und mit einem Wohnraumverlust geraten sie in eine Abwärtsspirale.

Vor diesem Hintergrund ist es ein sehr unterstützenswertes Anliegen, dass die Vereinten Nationen mit ihren Nachhaltigkeitszielen und auch das Europäische Parlament ihre Mitgliedstaaten dazu verpflichten, Obdachlosigkeit bis 2030 zu überwinden. Auch die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag dem Ziel angeschlossen, Obdach- und Wohnungslosigkeit mit einem nationalen Aktionsplan bis 2030 zu überwinden. Der Nationale Aktionsplan solle eine länderübergreifende Strategie sein, die auch regionale Besonderheiten berücksichtigt. Diesem Vorhaben schließt sich Hamburg an und ist gewillt, energisch darauf hinzuwirken, Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden.

Die Bundesregierung plant, den Wohnungsbau stark auszubauen. Bis zu 400.000 Wohnungen sollen jährlich neu entstehen, davon sollen 100.000 Sozialwohnungen sein. Ebenfalls soll laut Koalitionsvertrag im Bund eine Bund-Länder- Arbeitsgruppe zur „Problematik der Obdachlosigkeit von EU-Bürgern“ eingerichtet werden und auch Erfahrungen aus den verschiedenen regionalen Housing-First- Modellprojekten sollen zusammengeführt werden, um ein Prinzip für das Regelangebot abzuleiten. Die Bundesregierung hat am 8. Dezember 2022 den ersten bundesweiten Wohnungslosenbericht vorgelegt. Die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz (SPD), hat dazu erklärt, dass die Bundesregierung im Jahr 2023 gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren einen Nationalen Aktionsplan Wohnungslosigkeit erarbeiten und verabschieden wird.

Hamburg ist sich seiner Verantwortung bewusst und entwickelt zudem das eigene Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe kontinuierlich weiter. Dies geschieht auch im Austausch mit den Trägern der freien Wohlfahrtshilfe, wie zum Beispiel im Arbeitskreis Wohnungslosenhilfe, auf fachpolitischen Veranstaltungen oder bei der kooperativen Lösung praktischer Probleme. Wir wollen diese Ansätze der Zusammenarbeit weiter ausbauen.

Mit der Drs. 21/16901 hat die Sozialbehörde umfassend dargestellt, wie das Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe in Hamburg ausgestaltet ist und wie wirksam es ist. Es umfasst ein konsistentes Modell mit unterschiedlichen Bausteinen, die das Ziel verfolgen, die unterschiedlichen Facetten der Obdachlosigkeit zu verhindern, ihnen zu begegnen und Obdachlosigkeit zu beenden. Diese Bausteine werden regelmäßig um weitere ergänzt, wie zum Beispiel das Modellprojekt Housing First (Drs. 22/4444), eine Notschlafstelle für Jungerwachsene (Drs. 22/4795), die Verbesserung des Entlassmanagements (Drs. 22/8358) und auch die Konzeption einer Arbeitnehmer:innen- Pension (Drs. 22/9718).

Die letzte Obdachlosen-Studie zeigt, dass die Zahl der auf der Straße lebenden Obdachlosen in Hamburg in 2018 auf 1.910 Personen gestiegen ist. Dieser Anstieg geht einher mit einer veränderten Zusammensetzung der Gruppe der Obdachlosen in Hamburg. Im Jahr 2009 hatten noch 70 Prozent der Obdachlosen eine deutsche Staatsangehörigkeit, im Jahr 2018 hatte die Mehrheit von 61 Prozent keine deutsche Staatsangehörigkeit.

Dieser Wandel stellt auch für die Beendigung von Obdachlosigkeit eine Herausforderung dar, weil somit ein immer größerer Anteil der in Hamburg lebenden Obdachlosen von einem weitgehenden Sozialleistungsausschluss betroffen ist.

Zum Problem der Wohnungslosigkeit gehört auch die steigende Zahl der Menschen, die in einer öffentlichen Unterbringung (aktuell: mehr als 45.000) in Hamburg leben, davon allein über 12.000 wohnberechtigte Zuwanderer:innen oder die unbekannte Zahl sogenannter Couchsurfer, die, obwohl wohnungslos, keinen Kontakt zum Hilfesystem haben.

Diese Schlaglichter zeigen, dass es diverse Faktoren gibt, die die Innovationskraft des Hamburger Konzeptes zur Wohnungslosenhilfe weiter fordern und zudem länderübergreifend beziehungsweise gesamteuropäisch angepackt werden müssen.

Hamburg ist bei den Pro-Kopf-Vergleichswerten im Sozialwohnungsbau bundesweit Spitzenreiter. Für den Anteil öffentlich geförderter Wohnungen wurden mit dem im Juni 2021 abgeschlossenen Bündnis für das Wohnen in Hamburg höhere Vorgaben als bisher vereinbart: Bei Projekten auf privaten Flächen mit neuem Planrecht oder bei Befreiungen bei Vorhaben ab 30 Wohnungen beträgt der Anteil geförderter Wohnungen statt 30 seitdem 35 Prozent. Mit dem Wohnraumförderprogramm 2021/2022 wurde außerdem für Neubauvorhaben im 1. Förderweg ein Mindestanteil von 10 Prozent an Wohnungen für vordringlich Wohnungssuchende, zu denen auch die Wohnungslosen gehören, eingeführt. Dieser Anteil sogenannter WA-gebundener Wohnungen ist für Bauvorhaben ab 30 geförderten Wohnungen vorgegeben. Das Bündnis für das Wohnen in Hamburg geht darüber hinaus. Der Anteil an Wohnungen für vordringlich Wohnungssuchende soll bis zu 30 Prozent der geförderten Wohnungen eines Bauprojekts ab 30 Wohneinheiten auf privaten Flächen betragen. Die SAGA als kommunales Wohnungsunternehmen leistet mit einer Versorgungsverpflichtung von jährlich 2.000 vordringlich wohnungssuchenden Haushalten einen sehr relevanten Anteil. So hat die SAGA 2021 insgesamt 2.124 Haushalte versorgt. Die SAGA erhält zukünftig in größeren Stadtentwicklungsgebieten circa 20 Prozent der Flächen per Direktvergabe und plant dort, in der Regel 15 Prozent der geförderten Wohnungen mit WA-Bindungen zu errichten. Damit wird die Schaffung von WA-Wohnungen im gesamten Stadtgebiet noch einmal intensiviert. Auf Grundlage der Einigung mit der Volksinitiative „Neubaumieten auf städtischem Grund – für immer günstig! Keine Profite mit Boden & Miete“ sollen ab Oktober 2024 durchschnittlich pro Jahr mindestens 1.000 Wohnungen mit 100-jähriger Mietpreisbindung im 1. Förderweg errichtet werden, davon 200 Wohnungen mit WA-Bindung. Der Anteil der Wohnungen mit WA-Bindungen wird zusätzlich zu der vom Senat geplanten jährlichen Zielzahl von 300 WA-Wohnungen pro Jahr errichtet. Damit sollen pro Jahr rund 500 WA-gebundene Wohnungen errichtet werden.

Die Bürgerschaft möge beschließen:

 Der Senat wird ersucht,

  1. das von den Vereinten Nationen, vom Europäischen Parlament und von der Bundesregierung erklärte Ziel, bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden, zu unterstützen und die Erfahrungswerte aus den verschiedenen Bausteinen des hamburgischen Gesamtkonzepts der Wohnungslosenhilfe bei der Erarbeitung eines Nationalen Aktionsplan einzubringen,
  2. das Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe hinsichtlich der Erreichbarkeit dieser Ziele zu überprüfen und auch unter der Beteiligung fachlicher Akteur:innen entsprechend weiterzuentwickeln,
  3. die behörden- und bezirksübergreifende Zusammenarbeit zur Überwindung von Obdach- und Wohnungslosigkeit über den Einsatz einer Lenkungsgruppe zu verbessern,
  4. nicht deutsche Wohnungslose bei einem Arbeitsmarktzugang zu regulärer, sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zu unterstützen und insbesondere auch Beratung über das Hamburg Welcome Center (HWC) und den Zugang zu Qualifizierungsangeboten und Sprachangeboten zu ermöglichen, Hinderungsgründe zu identifizieren und aktiv abzubauen,
  5. sich dafür einzusetzen, dass die Notunterbringungen für insbesondere junge (unentdeckt) wohnungslose Menschen mit Betreuungsansätzen aus dem Stufenkonzept der Fachstellen ergänzt werden,
  6. über die Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB) sowohl für den WA-gebundenen Neubau als auch für den Ankauf von Belegungsbindungen im Bestand weiterhin attraktive Fördermöglichkeiten zur Verfügung zu stellen und entsprechend den Vereinbarungen aus dem Bündnis für das Wohnen, wie unter anderem in Drs. 22/8805 dargestellt, stetig weiterzuentwickeln,
  7. eine Überschreitung der Angemessenheitsgrenzen zur Mietkostenübernahme bei Menschen, denen unmittelbar und nachweislich Obdachlosigkeit droht, um bis zu 30 Prozent zu ermöglichen,
  8. sich dafür einzusetzen, dass die regelmäßige, bundesweite Wohnungslosenberichterstattung in den Folgejahren in ein Monitoringsystem entwickelt wird mit länderübergreifend einheitlich definierten Messwerten wie die Anzahl der Wohnungslosen, die Anzahl der Wohnraumvermittlung, die Anzahl von Präventionsfällen und weitere Kennzahlen,
  9. sich dafür einzusetzen, dass bei der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans ebenfalls die Perspektiven der Wohnungswirtschaft, der freien Träger, der (Straßen-) Sozialarbeiter:innen und der Wissenschaft angehört werden, und
  10. der Bürgerschaft bis zum 30.12.2023 zu berichten.
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